Kabuki | Drama, Exzentrik und Verwandlungen
Wallende Kostüme, grelles Make-up und hypnotische Musik? All das ist Kabuki. Eine der drei großen Formen des 400 Jahre alten japanischen Theaters ist ein Erlebnis der besonderen Art. Eine kleine Einführung in die Welt der japanischen Schauspielerei.
Bunte Welt des japanischen Theaters
Kabuki vergisst man nicht so schnell. Die farbenfrohe Schminke, Männer in Frauenkostümen und kunstvolles Schauspiel - hinter all dem steckt viel mehr, als man denkt. Elemente wie Tanzbewegungen, Gesichtsausdrücke und Dialoge folgen alle einem eigenen Regelwerk.
Was unterscheidet Kabuki-Theater von anderen Formen? Im Noh gibt es Masken und Gesang, im Bunraku fast lebensgroße Puppen. Und Kabuki selbst ist eine Mischung aus Schauspiel, Tanz und Musik, untermalt von traditionellen Kostümen, Instrumenten, ausdrucksvoller Mimik und Gestik. Die Bizarrheit könnte diesem Theater seinen Namen verliehen haben: Kabukimono bedeutet etwa "Exzentriker" und steht für Gangs von Flaneuren, die bis zur frühen Edo-Periode für Empörung auf den Straßen Japans sorgten. Die eigentlichen japanischen Schriftzeichen für Kabuki 歌舞伎 bedeuten aber jeweils "Gesang", "Tanz" und "Fähigkeit".
Der Weg zum Kabuki
Für all diese Elemente müssen Schauspieler jahrelang hart arbeiten. Viele fangen schon sehr jung an: Deshalb sieht man manchmal auf der Bühne schon Sechsjährige bei ihrem Debüt. Manche werden in eine Familie von Kabuki-Darstellern hineingeboren oder finden einen erfolgreichen Schauspieler, der sie sponsert. Andere absolvieren eine Ausbildung im Nationalen Theater in Tokyo, die sie aber erst mit 15 Jahren beginnen können. In diesen drei Jahren lernen angehende Schauspieler die Grundlagen des japanischen Theaters. Es gibt auch heute noch strenge Hierarchien, bei der Hauptrollen nach Abstammung vererbt werden. Einige etablierte Darsteller wurden sogar zum Lebenden Nationalschatz Japans erhoben.
Kabuki hat eine weitere Besonderheit: Dort findet man nur Männer auf der Bühne. Zu Beginn der Kabuki-Geschichte bestand die Besetzung nur aus Frauen. Im Jahre 1629 wurden sie jedoch offiziell alle aus dem Kabuki verbannt. Das lag daran, dass frühere Schauspielerinnen Prostituierte waren und dafür warben, was sogar zu öffentlichen Handgreiflichkeiten führte. Deshalb übernehmen männliche Schauspieler auch die Frauenrollen in den Stücken, genannt Onnagata. Nach dem Frauenverbot kam Wakashu Kabuki ("Junger-Mann-Kabuki"), in dem männliche Prostituierte mitspielten. Auch wenn das die Vorreiter der Onnagata waren, wurde auch diese Form des Kabuki-Theaters bald verboten. In der Mitte des 17. Jahrhunderts durften eine Zeit lang ausschließlich ältere Männer auftreten. Dieses Theater hat sich so zu einer reinen Form der Kunst entwickelt, und auch wenn das Alter der Darsteller heute keine Rolle mehr spielt, sind Schauspieler eben nur noch das: Schauspieler.
Reise in eine andere Welt
Grundlegend für jedes Stück im Kabuki-Theater ist die Geschichte, die es erzählt. Das können zum Beispiel historische Begebenheiten, Liebesgeschichten, traditionelle Dramen oder mystische Erzählungen sein. Manche Plots sind wohlbekannt, manche erschließen sich dem Zuschauer erst, wenn er die Symbolik dahinter kennt. Zu den berühmtesten zählt die Geschichte der 47 Ronin und ihre Rache für den Tod ihres Herrn. Heute haben Darsteller etwa 400 Stücke im Repertoire. Dabei teilen sie sich manche Erzählungen mit dem Noh- und Bunraku-Theater.
Nicht jeder Kabuki-Stil enthält übertriebene Rollen. Im Wagoto dominieren Dialoge und durchaus realistisches Spiel. Statt um lange Dialoge geht es im Shosagoto dagegen primär um Tanz, mit dem die Handlung dargestellt wird. Sewamono-Stücke spielen in der modernen Zeit, während historische Aufführungen zum Stil des Jidaimono gehören. Andere Kategorien erkennt man an den primären Handlungselementen: Rache in Sogamono, Geistergeschichten in Kaidanmono, und wenn die Hauptfigur ein Dieb oder Schurke ist, nennt man es Shiranamimono.
Die Bühne macht die Aufführung: Das Drumherum ist ebenso wichtig für die Performance. In manch einem Stück schmückt das riesige Gemälde einer Kiefer im Hintergrund die Bühne. Diese steht für traditionelle Geschichten mit spiritueller Symbolik, die dem Noh-Theater entnommen sind. Für besonders effektvolle Auftritte gibt es den Hanamichi, einen Weg, der von der Bühne durch die Zuschauerreihen führt. Drehbare Bühnenteile, Falltüren und Hinterausgänge sorgen zusätzlich für Spezialeffekte.
Rollen mit Wiedererkennungswert
Ein erfahrenes Publikum kann Persönlichkeit, Status und Bedeutung eines Charakters schnell erkennen: An der Farbe und Ausstattung seines Kostüms, dem Make-up und den Bewegungen. Die Dialoge sind oft in einem alten Japanisch geschrieben, das nicht einmal jeder Muttersprachler versteht, sodass die Schauspieler diese mit ihrer Ausdruckskraft unterstützen müssen.
Man unterscheidet zwischen den männlichen und den weiblichen Rollen. Prinzessinnen tragen rote Kimonos mit feinen goldenen Bestickungen. Oiran, hochrangige und angesehene Kurtisanen, müssen durch einen weiten und prachtvollen Kimono auffallen. Nicht selten wiegen solche Kostüme über 30kg und sind außerdem so gefärbt, dass sie im Bühnenlicht ihre maximale Wirkung entfalten. Geisha dagegen sind an bescheidenen und einfarbigen, aber dennoch einzigartigen Kostümen zu erkennen.
Hier stellen Kimonos mit ihrem Muster oft den Wechsel der Jahreszeiten in der Handlung dar. Die Art, wie der Obi-Gürtel gebunden ist, sagt etwas über den sozialen Status der Rolle aus: Als schräge Schleife für Samurai-Dienstmädchen, lose hängend für junge Frauen aus gutem Haus und als "Box" gefaltet für Ehefrauen von Samurai und Adeligen. Schwere Perücken mit charakteristischem Haarschmuck runden das Kostüm ab. Reisende Frauen tragen dabei einen speziellen Hut, und erspäht man ein violettes Haarband, ist die Figur krank - meist aus Liebe. Wenn man genau hinsieht, erkennt man auch Requisiten aus einem früheren Jahrhundert: Handspiegel, Tenugui-Tücher und Seifentäschchen, die im Edo-Zeitalter verwendet wurden. Historisch korrekt zu sein ist essentiell im Kabuki.
Samurai, Geister und Dämonen
Männliche Rollen heißen Tachiyaku und sind mindestens genauso vielfältig. Auch hier entscheidet die Kleidung: Bunte Kostüme gehören den jungen Charakteren an, Samurai-Lords tragen schlichte, aber imposante Kimonos mit Familienwappen. Den Farben Schwarz und Weiß kommt eine besondere Bedeutung zu. Wichtige Figuren tragen dunkle Kostüme, um die Rolle zu unterstreichen. Bei Ronin etwa wirkt der Kontrast zwischen schwarzem Kimono und weißem Gesicht besonders stark. Weiß, die Farbe des Todes, ist für Geister reserviert sowie für Figuren, die rituellen Selbstmord begehen werden.
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Männliche Rollen heißen Tachiyaku und sind mindestens genauso vielfältig. Auch hier entscheidet die Kleidung: Bunte Kostüme gehören den jungen Charakteren an, Samurai-Lords tragen schlichte, aber imposante Kimonos mit Familienwappen. Den Farben Schwarz und Weiß kommt eine besondere Bedeutung zu. Wichtige Figuren tragen dunkle Kostüme, um die Rolle zu unterstreichen. Bei Ronin etwa wirkt der Kontrast zwischen schwarzem Kimono und weißem Gesicht besonders stark. Weiß, die Farbe des Todes, ist für Geister reserviert sowie für Figuren, die rituellen Selbstmord begehen werden.
Auch die Perücke stellt bestimmte Figuren dar: Eine unordentliche Frisur tragen nur Bösewichte, und die mächtigsten Samurai haben eine kahle Stirn mit einem Haarknoten hinten, der mit Wachs befestigt wird. Das Gesicht spricht wiederum eine eigene Sprache. Die Schminke soll Augen, Mund und manchmal Muskeln für eine starke Mimik hervorheben, und je nach Rolle fallen dabei etwas andere Akzente auf. Grelles Make-up mit viel Rot unterstreicht übernatürliche Figuren. Diese gehören zum Aragoto-Stil des Kabuki-Theaters, in dem ein Superheld schwächere Charaktere vor Bösewichten beschützt.
Jeder Schauspieler schminkt sich selbst vor seinem großen Auftritt. Zunächst wird spezielles Wachs auf das Gesicht aufgetragen, dann das weiße Make-up. Mit Pinseln ergänzen sie es passend zur Rolle mit Schwarz, Rot und Blau. Die Assistenten sind darauf geschult, jedem Darsteller dann möglichst effizient Kostüm und Perücke anzubringen.
Die Fadenzieher im Hintergrund
So wichtig wie Kostüm und Schauspiel ist die Musik im Kabuki. Darsteller und Sänger können die Geschichte in einer Art narrativem Gesang, oder einem "langen Lied" (Nagauta), erzählen. Freude, Trauer, Liebe, Schmerz und Humor: All das findet man in der Ausdruckskraft dieser Lieder.
Der Tanz und Gesang, die diese Theaterform ausmachen, werden untermalt von traditionellen Instrumenten. Klassisch ist das Shamisen, eine Art japanische Laute. Die Gruppe der Shamisen-Spieler, die im Hintergrund sitzt, nennt man hier Hayashi. Mit großen und kleinen Trommeln erzeugen Musiker zusätzlich Spannung im richtigen Moment und kündigen den Anfang und das Ende eines Aktes an. Wenn ein Bösewicht seine wahre Natur aufdeckt, hört man eine Glocke. Und Holzklöppel kommen in dramatischen Momenten zum Einsatz, wenn Schauspieler das Schwert schwingen oder die Aufmerksamkeit des Publikums auf etwas gelenkt werden soll. Es gibt sogar Soundeffekte: Fächer, Flöten und Holzräder imitieren etwa Regen, Vogelzwitschern und Donner. Die Vorstellungskraft tut ihr Übriges.
Damit auf der Bühne alles glattläuft, befinden sich darauf außer den Darstellern und Musikern auch sogenannte Kurogo. Mit ihrem schwarzen Kostüm und schleichenden Bewegungen erinnern sie an Ninjas: Das Schwarz signalisiert, dass sie nicht zum Stück gehören, sondern vielmehr Requisiten bringen und entfernen, und den Schauspielern assistieren.
Nicht vergessen darf man zahlreiche Handwerker und Künstler, die sich um die Hintergründe, Kimono, Perücken, Fächer, Papierregenschirme und andere kleine Requisiten kümmern. Hinter jeder Aufführung stehen Dutzende von Mitarbeitern und jahrhundertelange Tradition.
Kabuki-Theater selbst erleben
Seit der Edo-Periode (1603 - 1868) gibt es diese Kunstform. 20 Jahre nach diesem Zeitalter, 1898, wurde das größte Theater Japans eröffnet: Das Kabukiza-Theater in Tokyo. Dort finden fast täglich Stücke von den renommiertesten Schauspielern des Landes statt. Wenn Sie eine davon anschauen möchten, buchen Sie früh ein Ticket, denn diese sind schnell ausverkauft! Außerhalb von Tokyo kann man Aufführungen auch in Kyoto, Osaka und anderen größeren Städten sehen.
Eine solche Aufführung besteht meistens aus drei oder vier Akten, zwischen denen es jeweils ein Intervall gibt. Karten kann man für eine ganze Aufführung, etwa vier Stunden, oder für die einzelnen Akte kaufen. Jeder davon erzählt eine andere Geschichte. Dabei werden die Genres so gewählt, dass das Publikum möglichst viel Abwechslung hat. In den Intervallen wird gegessen, getrunken und im Souvenirshop gestöbert.
Kabuki ist traditionell ein Volkstheater und dient der Unterhaltung, also kein Grund, sich zu formell zu kleiden - auch wenn Sie im Kabukiza immer wieder Zuschauer in Kimono oder Anzug finden werden. Wenn Sie kein Japanisch können, machen Sie sich keine Sorgen: Für 500 Yen (also fast 4 Euro) bekommen Sie ein kleines Tablet mit der englischen Übersetzung der Dialoge. Das Programm mit der Handlung der Stücke hilft dabei, die Geschichte wie ein Einheimischer mitzuerleben.
Heute beschränkt sich dieses Kulturerbe nicht nur auf Japan: Auch in den USA haben zum Beispiel schon berühmte Schauspieler ihre Kunst vorgestellt. Das japanische Theater hat mit seiner Einzigartigkeit, Ausdruckskraft und seinen nie aus der Mode kommenden Geschichten Fans auf der ganzen Welt gewonnen. Jeder kann Kabuki genießen, und so die japanische Kultur in ihren schillerndsten Facetten kennenlernen.
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