Die japanische Geschenkkultur - Geben und Nehmen

Die japanische Geschenkkultur - Geben und Nehmen

Geschenke sind sehr wichtig in Japan. Von der kleinen Taschentuchpackung am Ladeneingang über das Urlaubsandenken bis zur Sake-Flasche als Gastgeschenk – man wird ihnen früher oder später auch als Reisender begegnen. In Japan gibt es schätzungsweise über 50 Anlässe, jemanden zu beschenken. Woher kommen diese Rituale, wie befolgt man sie richtig und was können wir von ihnen lernen?

Menschen und Götter

Geschenke in Japan haben einen religiösen Ursprung im Shintoismus, einer der zwei vorherrschenden Religionen in Japan. Während im Christentum das Geben höher geschätzt wird als das Nehmen, tauscht man hier Gaben an die Götter gegen Gefälligkeiten. Naorai wird zum Beispiel das Teilen von Lebensmitteln mit Göttern genannt: Man hat Göttern im alten Japan Opfer in Form von Lebensmitteln dargebracht, um diese danach gemeinsam zu verspeisen. Daher kommen beispielsweise die Geldgeschenke an Kinder zu Neujahr, Otoshidama, die ursprünglich auch eine solche religiöse Gabe waren. Früher bekamen die Kinder jedoch Mochi – Reiskuchen, die die göttliche Seele symbolisierten.

Die Opfer waren also ein Geschenk an die Götter, das diese zurückgaben, damit die Menschen es teilen konnten. Dieses Prinzip von Geben und Nehmen, das sich hinter dem Begriff Giri verbirgt, ist bis heute tief in der japanischen Psyche verwurzelt. Die Weise, wie es befolgt wird, kann sogar den Charakter einer Person enthüllen.

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Geben und Nehmen

Das Konzept von Giri gibt vor, dass ein Geschenk immer erwidert werden sollte. Das ist nicht nur eine freundliche Geste: Besonders auf dem Land war man immer auf die Hilfe anderer angewiesen. Stand man seinen Nachbarn nicht materiell bei und bot ihnen angemessene Gaben zu bestimmten Anlässen an, hatte man auch selbst in Zeiten der Not keine Unterstützung zu erwarten. Auch in den Städten waren gegenseitige Aufmerksamkeiten eine Art Sozialversicherung. Heute werden immer noch Gefallen und Leistungen durch kleine Geschenke erwidert, wie zum Beispiel eine aufwändige Behandlung durch einen Arzt.

Geschenke hatten im japanischen Altertum jedoch nicht nur materiellen, sondern auch spirituellen Nutzen. War jemand krank, brauchte er nach shintoistischem Glauben positive Energie in Form von meist essbaren Gaben von gesunden Mitmenschen, damit er schneller genesen konnte. Nach dem japanischen Kalender gibt es auch Lebensjahre, die als besonders unglücklich gelten (Yakudoshi): Bei Kindern bespielsweise drei, fünf und sieben Jahre.  So entstand das Ritual, dass Kinder mit sieben Jahren von Tür zu Tür gehen und um Lebensmittel bitten sollten. Dies ist übrigens die einzige Ausnahme von der Reziprozität: Geschenke von Kranken oder Personen im „schlechten“ Alter anzunehmen würde Unglück bringen und sollte daher vermieden werden. Heute werden drei-, fünf- und siebenjährige Kinder stattdessen am 15. November in traditionelle Kleidung gehüllt und zu Schreinen geführt, um die Götter dort mit Spenden und Gebeten um ein weiteres glückliches und gesundes Jahr zu bitten.

Schenken bewahrt die Harmonie

Beinahe die Hälfte aller Geschenke in Japan sind formeller Natur und dienen dazu, soziale Beziehungen und die Harmonie – im Japanischen Wa – aufrechtzuerhalten. Im Arbeitsleben sind Geschenke unentbehrlich, besonders an Geschäftskunden.

Zu den wichtigsten Anlässen zum Schenken in Japan gehört Neujahr, wenn man am liebsten Neujahrskarten mit dem Namen Nengajo verschickt. Zwei weitere große Tage gibt es im Jahr, an denen man besonders an Verwandte, Ranghöhere wie Vorgesetzte, Kunden, Lehrer und Ärzte denken sollte: Ochūgen, das Mittjahresgeschenk im Juli, zur Zeit des buddhistischen Bon-Feiertags zum Gedenken an die Verstorbenen, und Oseibo im Dezember. Obwohl Oseibo-Geschenke üblicherweise bis zum 20. Dezember überreicht werden, haben sie nichts mit Weihnachten zu tun. Vielmehr sollen sie Dankbarkeit gegenüber Höhergestellten für ihre Freundlichkeit im vergangenen Jahr zeigen. Man gibt dabei zwischen 3000 und 5000 Yen (ungefähr 25 bis 40 Euro) aus. Aufmerksamkeiten an diesen Tagen sind meistens praktischer Natur: Salatöl, Essensdosen und Getränke kann zum Beispiel jeder gebrauchen.

Unter Freunden und Mitarbeitern in Japan ist es üblich, kleine Mitbringsel zu kaufen, wenn man verreist. Sehr beliebt sind dabei lokale Süßigkeiten oder kleine Figuren. Deshalb sieht man in Japan oft Geschäfte, die speziell solche Souvenirs, im Japanischen Omiyage, anbieten. Dort findet man unter anderem auch Kokeshi, traditionelle, aufwändig bemalte japanische Holzpuppen, die seit Hunderten von Jahren eine beliebte Wahl sind – vor allem als glückbringendes Geschenk für Kinder.

Kokeshi Holzfiguren

Keine Feier ohne Präsent – die Geschenkkultur Japans

Private Anlässe und Zeremonien, an denen man beschenkt wird, gibt es in Japan über 30. Unter anderem bei Geburten, Hochzeiten, Schulabschlüssen und Beerdigungen bekommt die Familie Geschenke von Verwandten, Freunden und Bekannten. Ein traditionelles Geschenk für Hochzeiten sind zum Beispiel hochwertige Lackwaren. Jedoch bleibt auch das nicht ohne Gegenleistung: Beim nächsten Anlass muss die Familie das Geschenk erwidern – beispielsweise als Mitbringsel aus den Flitterwochen. Deshalb ist es in Japan so wichtig, den Preis eines Geschenks deutlich zu machen: So weiß der Beschenkte, wie viel er zurückgeben sollte. Da man diesen zu einer Gegenleistung verpflichtet und ihm damit eine Bürde auferlegt, wird das Geschenk möglichst nicht zu teuer gewählt.

Am japanischen Valentinstag bekommen in Japan übrigens nur Männer etwas, und zwar meistens Schokolade. Im Büro kann die Menge und Qualität der Süßigkeiten ihnen zeigen, wie beliebt sie bei ihren Kolleginnen sind. Sie müssen sich dafür am „Weißen Tag“ bei ihren Frauen, Freundinnen und Mitarbeiterinnen revanchieren, der einen Monat später am 14. März stattfindet.

Wenn man von jemandem in Japan nach Hause eingeladen wird – eine seltene und sehr freundliche Geste – sollte man immer ein Gastgeschenk dabeihaben. Beim Überreichen des Geschenks fügt man gern bescheiden hinzu, dass es sich nur um eine langweilige Kleinigkeit handelt und verrät oft, anders als bei uns, was sich darin befindet. Auch sollte man mit dem Schenken möglichst warten, bis man mit der Person allein ist – es sei denn, man hat an alle Anwesenden gedacht.

Bekommt man selbst ein Präsent, sollte man das Geschenk erst öffnen, wenn man dazu aufgefordert wird, oder aber, wenn der Schenkende sich schon verabschiedet hat. Zum guten Ton gehört es ebenfalls, das Geschenk ein- oder zweimal höflich abzulehnen, bevor man es mit der bescheidenen Aussage, dass es zu viel sei, annimmt.

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Für jeden Anlass die passende Verpackung

Dass ein Geschenk schön verpackt werden muss, versteht sich von selbst. In Japan zeugt das von Aufrichtigkeit und Wertschätzung, und zeigt die Mühe, die in das Geschenk investiert wurde. Außerdem spielt die Farbe der Verpackung bei der Bedeutung eine wichtige Rolle:  Rosa ist eine positive und beliebte Farbe, genauso wie Gelb, Orange und Grün. Blau gilt als feminin, während das edle Purpur Wohlstand symbolisiert. Rot wird mit starken Emotionen assoziiert, dagegen wird es oft bei Einladungskarten für Beerdigungen verwendet und sollte daher nicht für Geschenkumschläge gewählt werden. Vermeiden sollte man möglichst Weiß und Schwarz. Die weiße Farbe ist zweideutig: Sie kann für Reinheit, aber auch für Tod und Wiedergeburt stehen, während Schwarz eine weitgehend unglückliche Farbe darstellt. Die Kombination von Rot und Weiß ist eine glückliche, kraftvolle Kombination, Rot und Schwarz gemeinsam hingegen bedeuten Sexualität.

Schenkt man in Japan Geld, wie es oft bei großen Feiern üblich ist, muss es auf jeden Fall in einem Umschlag stecken. Bei Oseibo und Ochūgen ist die Verpackung besonders traditionell: Der Anlass und der Name des Schenkenden wird darauf jeweils oberhalb und unterhalb des Geschenkbands angegeben. Oft wird auch die Originalverpackung des Geschäfts benutzt, wo das Präsent erworben wurde, damit der Beschenkte den Ursprung und Wert des Geschenks auf den ersten Blick erkennen kann. Doch richtig traditionell wird es erst mit japanischen Furoshiki-Tüchern. Furoshiki sind seit Hunderten von Jahren als Verpackung beliebt: Sie schützen den Inhalt und bieten ein weiteres kostbares Element, das man vielfältig wiederverwenden kann. Ähnlich verwendet man Tsutsumi („Päckchen“) mit speziellem, edlem Papier. Ein Beispiel dafür ist Chiyogami – Japanpapier, das nicht geschnitten, sondern stattdessen fast im Origami-Stil gefaltet wird. Asymmetrie und eine ungerade Anzahl von Falten gilt in Japan übrigens als ästhetischer und glücklicher.

Geschenke von Herzen

Das strenge, geregelte Schenken wird jedoch nur im formellen Kontext verwendet. Beziehungen in der Familie und zwischen Freunden werden Ninjō genannt und bedeuten auch weit persönlichere Geschenke. Ninjō heißt so viel wie „menschliches Gefühl“ und impliziert, dass man Geschenke nicht aus der Verpflichtung heraus, sondern von Herzen gibt. Möchte man jemanden an sich binden, kann man eine kleine Aufmerksamkeit einsetzen und eine Bekanntschaft so womöglich zu einer Freundschaft machen. Entsprechende Geschenke an Geburtstagen und ähnlichen Anlässen sind ein relativ modernes Phänomen.

Mittlerweile wird das „leere“, formelle Schenken vor allem von jungen Japanern kritisiert, die darin kaum einen ideellen Wert sehen. Ihrer Meinung nach wird beim Schenken kaum auf den Geschmack und die Persönlichkeit des Beschenkten Wert gelegt. Diese Art des Schenkens zeigt sich auch darin, dass Geschenke gern verschickt werden, anstatt sie persönlich zu überreichen. Traditionelle Konzepte, gemeinschaftliche Motive und der Nutzen solcher Geschenke werden heute hinterfragt.

Dennoch bleibt Japan mit seiner Geschenkkultur eine Gesellschaft, die sehr großen Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen legt. Obwohl und gerade weil es bei uns deutlich individualistischer zugeht, sollten wir auch ab und an daran denken, unseren Liebsten zu zeigen, dass sie uns wichtig sind – besonders in dieser wichtigsten Geschenkesaison. Wir wünschen Ihnen eine besinnliche und zauberhafte Weihnachtszeit.

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