Kotatsu: Der Tisch, der Wärme spendet

Kotatsu: Der Tisch, der Wärme spendet

Statt einer Heizung ein besonderer Tisch im Winter? So etwas gibt es nur in Japan. Erfahren Sie, wie das funktioniert und warum dieses Möbelstück uns so viel über die japanische Kultur erzählen kann.

Geerdete japanische Wohnkultur

Wie stellen Sie sich eine typisch japanische Wohnung vor? Das Bild eines kleinen Zimmers mit asketischer Einrichtung und Tatami-Matten fällt vielen dazu spontan ein. Spätestens seit dem Erfolg der Aufräum-Expertin Marie Kondo meinen wir zu wissen, wie ordentlich und minimalistisch man in Japan wohnt. Kein Wunder, denn gerade in einer Metropole wie Tokyo mit über 9 Millionen Einwohnern bleibt nicht viel Platz für Üppiges und Überflüssiges.

Kotatsu Tisch mit Sitzplätzen vor Paravent

Aber die Einrichtung einer japanischen Wohnung ist nicht bloß der Not geschuldet, sondern entspringt der Tradition. Schon kleinere Dinge wie die typische Sitzhaltung bestimmen, wie Möbel gestaltet werden müssen. Den japanischen Seiza-Sitz kennt wohl jeder: Sich hinkniend, die Beine aneinandergelegt und die Fußrücken flach auf dem Boden ausgestreckt. Viele Ausländer, die diese Sitzhaltung nicht gewohnt sind, fragen sich, wie man ihn bloß so lange beibehalten kann. Viele Japaner sitzen so aber nach wie vor auf dem Boden, genauso wie sie gern auf einem Futon schlafen. Dass Schuhe innerhalb der Wohnung in Japan, wo sich viel auf dem Boden abspielt, tabu sind, versteht sich da von selbst.

Warum möchte man in Japan eigentlich der Erde so nah sein? Diese Boden-Kultur ist typisch für ostasiatische Länder und hat viele Gründe. Sie ist nicht nur platzsparender, sondern auch sicherer: in einem Land wie Japan, in dem Erdbeben häufig vorkommen, kann es Leben retten, wenn es so wenig hohe Möbel wie möglich gibt, die im schlimmsten Fall auf die Bewohner fallen könnten. Man könnte auch mit der japanischen Neigung zur Naturverbundenheit und Erdung argumentieren. In einer Wohnung mit Tatami-Matten würden viele schwere Möbel diese außerdem beschädigen.

Ein Tisch zwischen Tradition und Moderne

Fakt ist: die meisten sind diesen Lebensstil schlicht gewohnt. Gerade da westliche Wohnkultur erst sehr spät nach Japan kam, das sich lange gegen fremde Einflüsse gewehrt hat. Im Vergleich zu westlichen Möbeln ist typisch japanisches Interieur schlicht, funktional, naturbelassen und nimmt möglichst wenig Raum ein. Schiebbare Shoji statt Türen, Tatami statt Parkett und Kissen statt Stühlen – das hat sich alles erst seit der Meiji-Restauration 1868 geändert. Zuerst wirkte sich das auf öffentliche Räume aus, später auf private Behausungen in Japan. Einrichtungsgegenstände wie Betten, Türen und Stühle, die für uns selbstverständlich sind, wären vor rund 150 Jahren in einer japanischen Wohnung nicht zu finden gewesen. Während man sich in Japan zu einem gewissen Grad an diese Modernisierung angepasst hat, gilt das längst nicht für alle Möbel.

Der Kotatsu, japanisch 炬燵, ist ein Beispiel für ein traditionelles Möbelstück, das nahezu jede Wohnung in Japan schmückt. Es handelt sich dabei um einen etwa 36 cm hohen Tisch, meist aus Holz, der mit einem Futon bekleidet und mit einem Heizelement ausgestattet ist. Im Winter ist es unabdingbar, sind doch die meisten japanischen Häuser nicht gedämmt und nur mit einer Klimaanlage beheizt. Sommer sind – ausgenommen auf der nördlichen Insel Hokkaido – nämlich länger und deutlich intensiver als die Winter in Japan. Daher greift man auf punktuelle Wärme wie diesen Tisch in Japan zurück – beheizte Toilettensitze erinnern andernorts daran. Tische ohne Wärme-Feature in japanischen Heimen heißen Chabudai. Sie sind noch etwas tiefer und können viele Funktionen vom Schreib- bis zum Esstisch erfüllen.

Japansiche Einrichtung in Esszimmer

Japan und Kotatsu: Eine besondere Beziehung

Ein Kotatsu-Tisch im Winter ist jedoch mehr als nur eine Wärmequelle: er ist auch der Mittelpunkt sozialer Traditionen. Als modernes Äquivalent zur traditionellen Kochstelle, die mit Kohle betrieben wurde und sich ebenfalls in der Mitte des Raums befand, lockt sie an kalten Winterabenden die ganze Familie an. Jeder kniet oder setzt sich auf ein Kissen oder direkt auf die Tatami-Matte am japanischen Tisch und steckt die Beine unter die Futon-Decke. Das strombetriebene Heizelement im Kotatsu sorgt dafür, dass allen warm wird. Winter-Gefühle kommen auf, wenn man traditionell an diesem Tisch Orangen oder Clementinen isst. Manche schlafen sogar unter dem Kotatsu – was aber nicht so ratsam ist, da man sich dabei schnell verbrennen kann.

Man kann sich fragen: schön und gut, wenn die Beine unter der Decke warm sind. Was ist aber mit dem Rest des Körpers? Für Japaner liegt der Mittelpunkt der Seele, der Gefühle und des Wohlbefindens traditionell im Bauch. Wenn dieser warm gehalten wird, haben Krankheiten auch anderswo keine Chance. Und in der Realität wirkt es ebenfalls: Jeder, der schon einmal unter einem Kotatsu saß, weiß, wie wohlig warm es einem nach kurzer Zeit wird.

Wer in Japan nicht nur zu Hause, sondern auch unterwegs den Kotatsu-Tisch nicht missen möchte, kann seit einigen Jahren auch mit dem „Kotatsu-Train“ durch die Präfektur Iwate fahren. Die Touristenattraktion, die Reisende warm und gemütlich durch den Winter in Japan bringt, ist von Januar bis März in Betrieb, bietet verschneite Ausblicke und traditionelles Bento.

Tisch mit Decke und Sitzplätzen auf Boden

Bildnachweise: Autor: Marieve 瑞香 Inoue | Flickr | License

Ein Kotatsu hält nicht nur warm

Auch wenn man es nicht auf den ersten Blick erkennt: tief sitzen bringt viele gesundheitliche Vorteile mit sich. Wer sich nicht zurücklehnen kann oder vorbeugen muss, sitzt automatisch aufrechter. Tieferes Sitzen begünstigt auch die Verdauung, und kann nachweislich auch die Energie und Konzentration erhöhen. Wer häufiger auf einen hohen Stuhl verzichtet, schläft langfristig besser und ist dehnbarer. Nicht zuletzt ist physische Aktivität beim Aufstehen hier höher: je leichter man vom Sitzen aufstehen kann, desto gesünder und langlebiger ist man – eine gute Gelegenheit zum Trainieren also. So wie auf einem guten Futon mit Baumwoll-Inhalt zu schlafen gut für den Rücken sein kann, tut man seinem Körper mit einem Chabudai oder Kotatsu also auch etwas Gutes. Auch in der westlichen Einrichtung kann man einen Trend hin zu tiefen Sesseln und Tischen beobachten.

Man muss übrigens nicht unbedingt Seiza-Meister werden, wenn man die Vorteile eines Kotatsu genießen möchte. Probieren Sie andere Sitzhaltungen aus wie zum Beispiel den „Oma-Sitz“ obachan suwari: hier knien Sie ebenfalls, sitzen aber auf dem Gesäß und die Beine ruhen seitlich neben Ihnen.

Außerhalb von Japan einen Kotatsu-Tisch zu finden gestaltet sich jedoch schwierig. Erste Anlaufstellen wären Online-Märkte wie Amazon oder Rakuten. Die Firma Yamazen etwa hat die Lieferung von Kotatsu und ähnlichen Heizelementen bis nach Europa ausgeweitet. Wer auf Japan-Import verzichten möchte, kann sie mit etwas handwerklichem Geschick auch selbst bauen. Wer etwas japanische Gemütlichkeit, Wärme und gesellige Kultur für die eigene Wohnung sucht, wird in jedem Fall fündig.

Lesen Sie doch auch mal unseren Beitrag zu Paravent, Raumteiler und prunkvolle Bescheidenheit:

Paravent | Blogartikel im Japan-Magazin lesen »
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