Hanami – Das Fest der Kirschblüte
Wie Japan zur Kirschblüte kam
Schon seit über 1000 Jahren feiern Japaner 花見 Hanami, das Kirschblütenfest – wörtlich „Blumen schauen“. Zur Hanami-Zeit strömen jährlich die meisten Touristen in das Land, denn die schöne Blüte ist nicht nur eine Augenweide, sondern auch ein Symbol Japans. Kein Wunder, wenn man japanische Landschaften im April betrachtet, in denen plötzlich Hunderte von weiß und rosa blühenden Bäumen die Wege säumen. Dieser magische Anblick lockt die Einheimischen in die Parks und an Flussufer, wo Picknicks und Parties stattfinden.
Tief in der japanischen Kultur verwurzelt ist die Bewunderung der Natur und der Schönheit ihrer vergänglichen Jahreszeiten, wo der Sakura-Kult seinen Ursprung hat. Hanami drehte sich noch im 8. Jahrhundert zunächst um die Pflaumenblüten, die schon im Februar zu blühen beginnen und die wie andere Aspekte der Kultur in dieser Zeit aus China kamen. Viele Dichter hatten der Pflaume in Haiku, traditionellen dreizeiligen Gedichten, gehuldigt.
Als diplomatische und Handelsbeziehungen zu China jedoch in der Heian-Ära Ende des 9. Jahrhunderts gekappt wurden, ging auch der kulturelle Einfluss aus dem Nachbarland wieder zurück. Die Kirsche wurde nun zur beliebtesten Blume in Japan. Wenn man in japanischen Gedichten „Blume“ liest, ist damit seitdem Sakura gemeint, und in traditionellen Gemälden wird sie als Objekt der Bewunderung im Hanami dargestellt. Seitdem wurden diverse Arten der Kirsche zur Dekoration kultiviert, damit jeder das Kirschblütenfest genießen konnte. Zusammen mit den wilden Sorten in den Gebirgen und Wäldern sind sie heute fester Bestandteil der japanischen Landschaft.
Japanische Geschäfte in voller Blüte
Ursprünglich waren die mit Kirschbäumen gefüllten Parks ein beliebtes Ziel für Dichter und Künstler, Werkstätten für traditionelles Handwerk wie Ikebana, und Schauplatz der Teezeremonie. Seit dem Aufstieg des Shogunats in Japan im 16. Jahrhundert wurde Hanami zur Lieblingsbeschäftigung der Samurai-Eliten.
Heute finden in größeren Parks rund um Japan Straßenfestivals statt, in denen Snacks, Bier, warmer Sake und viel mehr verkauft werden. Vielerorts sind die Kirschblüten zusätzlich nach Sonnenuntergang mit Laternen beleuchtet, sodass man das Fest noch bis in die Nacht hinein verlängern kann. Beliebte Sehenswürdigkeiten wie die großen Tempel und Schreine öffnen ihre Tore zu dieser Zeit auch abends, und aufwändige Dekoration und Beleuchtung setzen die Bäume vor einem einzigartigen Hintergrund in Szene. Hanami im Dunkeln wird Yozakura genannt und war seit jeher ausgelassener als während des Tages.
In Japan lassen vor allem Lebensmittelhersteller kein Fest entgehen. Kein Wunder also, dass im Frühling Produkte mit Kirschgeschmack und Blumendekoration die Läden, Bäckereien und Cafés dominieren. Von Pommes Frites mit rosa Gewürz über Reiskuchen mit Kirschglasur bis hin zu Sakura-Schokolade und -Milchshake findet man hier alles. Der Umsatz steigt mit den zunehmenden Besuchern aus aller Welt umso mehr, wobei die Souvenirs mit rosafarbenem Blütenmuster auch bei Einheimischen beliebt sind.
Hanami-Kultur von früh bis spät
Um Hanami wie ein Einheimischer in Japan zu feiern, braucht man nur eine Picknickdecke, leckeres Essen und vor allem gutes Timing – denn die beliebtesten Plätze für den Blick auf die Kirschblüten sind schon früh besetzt. Man sollte daher schon früh die eigene Decke auf der Wiese ausbreiten und dazu eine Notiz dazulegen, auf dem der Name und die Ankunftszeit steht. An die sollte man sich auch halten: Da in Japan Pünktlichkeit großgeschrieben wird, könnte es sein, dass bei Verspätung der gewählte Platz schon besetzt ist!
Für Firmenfeiern sind die rangniederen Angestellten dafür zuständig, die besten Plätze ab den frühen Morgenstunden zu hüten. Nach Feierabend genießt man Speis, Trank und Sakura in Gesellschaft der Kollegen, am Wochenende tummeln sich Familien unter den Kirschbäumen. Noch vor der ersten Sakura-Blüte sind Wiesen und Plätze unter den Bäumen voller blauer Decken und fröhlicher und staunender Besucher.
Sosehr Hanami heute wiederum für viele mit betrunkenem Spaß verbunden ist, wird auch an ungewöhnlichen Plätzen das Kirschblütenfest gefeiert: Der Yanaka- und Aoyama-Friedhof in Tokio zum Beispiel sind beliebte Orte, um in Ruhe und Respekt wunderschöne Reihen von Kirschbäumen zu genießen.
Wo das Fest Monate dauert
Ein solch großes Ereignis will sorgfältig geplant werden. Bereits im Winter bringt die Japanische Gesellschaft für Meteorologie eine Vorhersage heraus, wann die ersten Kirschblüten zu sehen sind. So wie der Wetterbericht täglich akribisch verfolgt wird, um nicht aus Versehen ohne Regenschirm aus dem Haus zu gehen, so lassen sich Japaner auch keine Neuigkeit über den derzeitigen Blühstand entgehen.
Die beste Zeit für Hanami ist üblicherweise Ende März bis Mitte April. Die Stadt Yoshino bei Nara, im Südwesten Japans, nennt sich im April Welthautstadt der Kirschblüte, denn vom Berg Yoshino ist der Blick auf die Kirschbäume auf den Hügeln und in den Parks der Umgebung im ganzen Land zur besten Zeit am herrlichsten.
Auf der warmen Insel Okinawa Süden Japans blühen die ersten Kirschblüten schon im Januar, die letzten kann man auf der nördlichen Insel Hokkaido noch bis in den Mai hinein bestaunen. Manche Arten sind erst im Herbst in voller Blüte. Dabei spielt das Wetter eine wichtige Rolle: Ist den Kirschbäumen zu kalt, wird die Blüte erst später zu sehen sein.
Jede Kirschblüte ist anders
Ein Kirschbaum blüht nur wenige Tage bis zu einer Woche – deshalb steht Sakura auch für die vergängliche Schönheit des Lebens. Vielerorts werden jedoch viele Arten gemeinsam kultiviert, die zu unterschiedlichen Zeiten ihre Blüten öffnen. So kann man Sakura nach und nach den ganzen April über in voller Blüte betrachten.
Das Farbspektrum reicht von dunkelrosa über weiß bis gelb. Auch die unterschiedlichen Blütenformen und Strukturen der Bäume machen die Kirschlandschaft abwechslungsreich. Folgende Arten sind in Japan besonders verbreitet:
- Kanhizakura blüht schon im Februar im Süden Japans und ist an ihren glockenförmigen dunkelrosa Blüten zu erkennen
- Die meisten Kirschbäume in Japan tragen die fast weißen Blüten der Yoshino-Kirsche
- Die wilde Yamazakura – „Bergkirsche“ – zeigt zusammen mit der zartrosa Kirschblüte auch gleichzeitig ihre Blätter
- Shidarezakura, die hängende Kirschblüte, besticht mit ihren farbenfrohen dichten Blüten, die oft aus mehr als den charakteristischen fünf Blütenblättern bestehen
- Auch Ichiyo besitzt viele zartrosa Blütenblätter und ist Mitte April in voller Blüte
- Erst Ende April öffnen sich die dichten purpurfarbenen Blüten der Kanzan-Kirsche
Auch bei uns in Deutschland kann man Hanami feiern: In Hamburg findet seit fast 50 Jahren Ende Mai das japanische Kirschblütenfest statt, in dem die japanische Kultur und Städtepartnerschaft mit Osaka gefeiert wird. Und unter den vielen Kirschbäumen, die auch bei uns allerorts blühen, kann man ein entspanntes Picknick mit seinen Liebsten veranstalten. Ein Blick auf die Blüten in der Frühlingssonne genügt, um in die japanische Faszination für die zerbrechliche Natur und den Wechsel der Jahreszeiten einzutauchen.